Zum „Ding ohne Titel“ oder ein Vorwort
Von Maria Messmer
Entgegengesetzte Wege zu gehen in Zeiten der Bilderflut, in einer Gesellschaft, „die ständig schnelle und wirksame Suggestion in Wort und Bild benötigt“ (Panajotis Kondylis), ist eher selten, aber es ist. So konträr wirkt auch das von Michael Schneider ausgewählte, anspruchsvolle Verfahren des Holzschnittes, das zu den ältesten Formen der Bildfixierung zählt.
Überdimensionale einfarbige Holzschnitte entstehen im Handdruck in streng limitierter Auflage von drei Abzügen: Verweigerung des Zustandes einer Massenproduktion. Sich bewusst wehren gegen Buntheit und eine Medienkunst, die, so der Künstler „nur zum Verlust der eigentlichen Bedeutung führt“. Weder inhaltlich noch formal verpflichten sich die Arbeiten einer bestimmten Richtung. Die „Lust am Holzschneiden“ ist der Ausgangspunkt, sichtbar auch am Format.
Michael Schneider arbeitet absolut. Abstrakt. Er verknüpft Kulthaftes, Archetypisches mit seiner äußerst subjektiven Vorstellungswelt und dem persönlichen Weltbild. Das Blatt wird zum „Ding ohne Titel - losgelöst von seinem Ursprung“, ist Träger symbolhafter Informationen aus einer archaischen Zeit. Es ist nur ein Teil des Ganzen, da Druckstock und Blatt nicht trennbar sind. Dargestelltes wird zum Relikt mit sakralem Charakter (Triptychon „In jener Andacht aber ist das Verhältnis zu einem Dinge wesentlich“, 1991). Immer wiederkehrende Rahmen orientieren sich an den nach 1400 verbreiteten „Einblattholzschnitten“ religiösen Inhalts. Die Funktion der Rahmen ist es, Raum zu schaffen. Sie grenzen das Bild ab oder öffnen sich diesem, unterstreichen seine Aussage. Ein Bruch mit der traditionellen Technik des Holzschnittes - durch Verwendung ungewohnten Werkmaterials - verleitet zur Annahme eines Experiments. „Je mehr ich die Technik beherrscht habe, desto unglücklicher war ich mit dem Ergebnis.“
In jüngster Zeit benützt Schneider statt des Messers Schiefergestein. Arbeiten am Druckstock (an irgendeinem Holz) wird dadurch spontaner. Das oft rhythmische „Schlagen mit dem Stein“ auf die Druckplatte erlaubt nur noch ein Grobkonzept. Zeit manifestiert sich in zum Teil unbeabsichtigten Gesteinsspuren, aber auch im Stein selbst, der im Laufe des Schlagens zerbröselt.
Aufgespürte „Urelemente“ schließen Maserungen ein und verbergen sich hinter blockhaften Formen. Dennoch steht einer massiven Rohheit auch Zartes gegenüber, ja kreuzt und durchdringt sich gegenseitig oder verbindet sich miteinander. Wahrnehmbare, auf subtile Weise entstandene Kraftfelder senden verschlüsselte Botschaften von Druckstock und Blatt.
Offen bleibt der Wunsch des Künstlers Michael Schneider, „dass beim Betrachter das Erkennen der Form sich nicht im Bewusstsein abspielt“ (zum realen Gegenstand wird). Das Schauen selbst erfordert Askese und Kontemplation.
Aus: Schneider, Michael: Ding O.T. - HOLZSCHNITTE. Landeck 1993, S. 3
Mag. Maria Messmer ist Kunsthistorikerin und Kunsterzieherin in Bregenz.