Geistiges Eigentum und Originalität.
Zur Politik der Wissens- und Kulturproduktion.
Hg. v. Odin Kroeger, Günther Friesinger, Paul Lohberger und Eberhard Ortland.
253 S., Broschur mit Fadenheftung, Verlag Turia und Kant, Berlin – Wien 2011;
ISBN: 978-3-85132-613-0; € 29,-
Wer aus dem Internet Daten herunterlädt, könnte sich einen Abmahnbrief einhandeln, wie er derzeit tausendfach von profitorientierten Anwaltskanzleien versendet wird. Immer tolldreistere Forderungen werden gestellt. Die Gesetzeslage unterstützt, was inzwischen von vielen Menschen als Unrecht empfunden wird: ein restriktives Verständnis von Rechten aus geistigem Eigentum.
Offenbar klafft zwischen der Gesetzeslage und der Lebenspraxis eine Lücke, die nicht nur das individuelle Rechtsempfinden betrifft, sondern in Form einer immer stärker als politischer Faktor wahrgenommen Bewegung öffentlich wird. Wahlerfolge der Piratenpartei in Deutschland und steigende Umfragewerte für ihr österreichisches Pendant zeigen, dass ein weitreichendes Bedürfnis nach Reform besteht.
„Geistiges Eigentum und Originalität – Zur Politik der Wissens- und Kulturproduktion“, herausgegeben von Odin Kroeger, Günther Friesinger, Paul Lohberger und Eberhard Ortland, versammelt Beiträge zu einer grundlegenden Diskussion des Wesens von geistigem Eigentum und den Bedingungen, unter denen es geschaffen und zu einem Gegenstand der Rechts werden kann.
Während Creative oder Content Industries, multinationale Konzerne und spezialisierte Rechteverwerter auf den legislativen Prozess Einfluss zu nehmen suchen, um eine für ihre wirtschaftlichen Interessen günstige Situation zu schaffen, hinkt der gesellschaftliche Diskurs hinterher. Der vorliegende Band macht den Versuch, Material für das Füllen dieser Lücke zu liefern. Es wird in Zukunft nicht ausreichen, althergebrachte Konzepte zu patchen. Die technischen Grundlagen für das geistige Schaffen, für die Kreation von „content“ haben sich grundlegend geändert. War früher eine Kopie eine legitime Form des Lernens, steht sie heute am Rande
der Legalität.
Auch unser Verständnis für die Eigentum schaffende Originalität, die originäre Leistung muss
hinterfragt werden. Viele offene Fragen umgeben nicht nur das Schaffen Einzelner, sondern auch das Schaffen in Communities. Ein Bereich, dem Marietta Böning in ihrem Beitrag nachgeht. Die digitale Kopie hat nicht nur zu einem Informationsfluss von nie zuvor gekannter Geschwindigkeit geführt, auch das Schaffen an sich hat sich grundlegend geändert. Was mit der Collage begann, ist heute eine völlig neuer Schaffensprozess, der nachfolgenden Generationen selbstverständlich sein wird und für dessen Grundlage jetzt ein erweitertes und komplexeres Verständnis vom Wesen geistigen Eigentums erarbeitet werden muss.
Durch das Einbeziehen von Bedingungen der Kunstproduktion und der damit verbundenen Strategien zur Schaffung geistigen Eigentums auch und speziell im Bereich der bildenden Kunst ist das Buch von essenzieller Bedeutung für die weitere Diskussion.
Nachdem die Musikindustrie und später, ermöglicht durch höhere Bandbreiten und bessere Komprimierung, die Filmindustrie im Zentrum der populären Überlegungen rund um das Wesen des geistigen Eigentums standen, sind die weitreichenden Folgen einer zu einseitigen Betrachtung dieses Gebietes fast unbemerkt geblieben. Was die Strategien der Industrie für zukünftige Werke der Literatur und der bildenden Kunst bedeuten, vor allem für die weitere Entwicklung, ist noch gar nicht abzusehen.
Bis heute haben sich KünstlerInnen noch unzureichend in den Diskurs eingebracht. Diese Beteiligung wird aber von großer Bedeutung sein, wenn es gelingen soll, die Grundbedingungen für das Schaffen und ein ausgewogenes Verständnis von geistigem Eigentum zu erarbeiten. Die Beteiligung an dieser Diskussion soll durchaus mit den Mitteln der Kunst geschehen, wie sie auch die KünstlerInnen-Gruppe „monochrom“ betreibt, wie im Beitrag von Frank Schneider und Günther Friesinger dargelegt.
Das Verständnis von Kunst als Werk eines Künstlers wird der gegenwärtigen Praxis nicht mehr gerecht. Das Werk liegt eher in der Schaffung einer Marke, die unterschiedliche Produkte beinhaltet. Diese erlaubt, die Produktionsbedingungen und auch den Schaffensprozess beliebig zu ändern, solange die Authentizität im Rahmen der Marke erhalten bleibt. Wenn es der Generierung einer Marke dient, werden wir weiterhin Genies in der Kunst vorfinden, für das Verständnis des kreativen Prozesses zur Schaffung von geistigem Eigentum wird das Genie wohl hinterfragt werden müssen. Für diese und viele weitere Fragestellungen sei das Buch nachdrücklich empfohlen.
Michael Schneider
Das Buch basiert auf der Vortragsreihe des IWK (Institut für Wissenschaft und Kunst, www.univie.ac.at/iwk): „Geistiges Eigentum“, 2006 – 2009.