Imagon, Nyloprint und Zacryl - die "ungiftige Revolution"
Die Zeiten sind vorbei, in denen technische Neuerungen im Bereich der Druckgraphik aus Wien oder Berlin kamen. Die Informationen zur Heliogravure und ihrer Entwicklung in den letzten beiden Ausgaben der Kunsthefte oder auch die Feiern zum 200sten Geburtstag der Lithographie haben diese Zeiten eindrucksvoll in Erinnerung gerufen. Die Entwicklung der Drucktechnik wird inzwischen anderswo weitergetrieben. Ein Bericht darüber, dass es anderswo "Forschung" im Bereich der Druckgraphik gibt, von Michael Schneider
Zu berichten ist über eine Revolution, die im deutschsprachigen Raum fast unbemerkt geblieben ist. Sie wurde durch den Wunsch nach ungiftigen Verfahren im Bereich der Druckgraphik ausgelöst, ein Wunsch, entsprungen dem erhöhten Gesundheitsbewusstsein in den USA. Die dortige Gesetzeslage macht es für Kunstschulen zu einem Risiko, SchülerInnen und StudentInnen mit giftigen Substanzen in Berührung zu bringen. Anfangs brachte diese Situation verschiedene alternative Verfahren hervor, allerdings meist verbunden mit qualitativen Einbußen in vielerlei Hinsicht. Erste Ergebnisse konnten nicht wirklich beeindrucken und so wurden die ungiftigen Verfahren schnell mit einem schlechten Ruf etikettiert und der war zumeist das Einzige, was hierzulande davon vernommen wurde. Um die Ursachenforschung für das konsequente Ignorieren der inzwischen über zehn Jahre dauernden Entwicklungsarbeit nicht in unbequeme Bereiche zu treiben, sei nur darauf hingewiesen, dass die Verbreitung des Wissens um diese Technik erstaunlich langsam vor sich geht. Ein höchst verwunderlicher Umstand, erlauben diese Techniken doch die Herstellung von Tiefdrucken ohne Säuren, Gasmasken, Absaug- und Filteranlagen, ohne Aquatintakasten, ohne Kolophoniumstaub, ohne Asphaltlacke. Auch die Investitionen in die Ausrüstung sind im Vergleich zum traditionellen Tiefdruck gering. Somit steht hier erstmals eine Technik zur Verfügung, die hochwertige Tiefdrucke ermöglicht, ohne dass in eine komplette Druckwerkstatt investiert werden muss.
Inzwischen hat die Entwicklung des "non-toxic printmaking" einen Stand erreicht, der das Wort Revolution in der Druckgraphik erlaubt. War zu Beginn die Suche nach alternativen Werkstoffen im Zentrum der Bemühungen, so hat sich das nun grundlegend geändert. Mit den neuen Materialien wurden neue Verfahren entwickelt. Neue Verfahren haben zu neuen Möglichkeiten der Gestaltung, neuen Kombinationsmöglichkeiten und nicht zuletzt zu einer Technik geführt, die den Computer zu einem selbstverständlichen Werkzeug des Tief- oder Hochdrucks macht (was er ja für Sieb- und Flachdruck schon lange ist). Um keinen falschen Eindruck zu erwecken: Hier wird nicht dafür plädiert, die traditionellen Verfahren der Druckgraphik zu ersetzen, hier wird erklärt, dass die ungiftigen Verfahren neue Möglichkeiten eröffnet haben, mit eigenem Charakter. Wohl ist es da und dort möglich, ein neues Verfahren anstelle eines alten einzusetzen, aber nur, wenn die gesamt Konzeption der Arbeit dies zulässt.
Der Polymer-Tiefdruck
Einfachste Übung auf dem Weg zur Entwicklung ungiftiger Drucktechniken war der Siebdruck. Relativ schnell konnte die Industrie qualitativ hochwertige Farben und Lösungsmittel zur Verfügung stellen, die eine gesündere Arbeitsumgebung schufen. Größtes Problem war der Tiefdruck. Säuren, Asphaltlacke, Kolophoniumstaub, fast jeder Arbeitsschritt ist mit der Verwendung giftigen Materials verbunden, dessen Ersetzung fast unmöglich erscheint. Dennoch ist das zu weiten Teilen gelungen. Das Geheimnis liegt im verwendeten Plattenmaterial - photosensible Polymere in unterschiedlichen Ausformungen. Die Entwicklung hat sich diesem Material von zwei Seiten genähert. Zum einen war es naheliegend, Material aus dem kommerziellen Bereich des Drucks zu übernehmen, wo Polymerplatten seit den 60er Jahren für den Verpackungstiefdruck oder die Herstellung von Klischees für den Hochdruck zur Verfügung stehen und dort die ebenso giftigen wie teuren Metallplatten abgelöst haben. Zum anderen hat die Elektronik ihren Beitrag geleistet. Hochintegrierte Leiterplatten werden mit Hilfe von Photopolymerbeschichtungen geätzt. Der Wunsch zur Miniaturisierung hat dort die Materialentwicklung vorangetrieben. Wurden früher Leiterplatten mit photosensitivem Lack beschichtet, um die Ätzung vorzubereiten, so wird heute mit Polymerfolien gearbeitet, die eine genauere Abbildung der Schaltkreise erlauben und durch die Homogenität des Materials die Anzahl der fehlerhaften Ätzungen reduzieren. Abbildungsgenauigkeit, Homogenität und Widerstandskraft empfehlen die Polymerfolie als geeignetes Material auch für die künstlerische Anwendung.
Erhältlich ist das Platten- und Beschichtungsmaterial unter den Handelsmarken Nyloprint, Imagon oder Zacryl: alle haben gemeinsam, unter UV-Licht zu härten, ungehärtet aber in Wasser oder Sodalauge löslich zu bleiben. Nyloprint ist ein aus dem Druckgewerbe stammendes Material, das Vorteile in der Handhabung hat, allerdings sind die Verwendungsmöglichkeiten etwas eingeschränkt. Nyloprintplatten bestehen aus einer bis zu ca. 3 mm starken Polymerschicht, die auf einer dünnen widerstandsfähigen Platte aufgebracht ist. Sie eignen sich daher auch für das Herstellen von Druckplatten für den Hochdruck. Imagon und Zacryl sind Beschichtungsmaterialien, die der elektronischen Bauteilfertigung entstammen. Beide sind in der Handhabung anspruchsvoller, erlauben aber eine große Vielfalt an Verwendungsarten.
Generell ist das verwendete Polymer sehr widerstandsfähig und erlaubt eine zumeist ausreichend hohe Auflage. Imagon, eine unter 1 mm starke Folie, muss auf ein geeignetes Trägermaterial aufgebracht werden, ein nicht immer einfaches Unterfangen. Die arbeitstechnische Freiheit wird dadurch allerdings erheblich erweitert. Imagon kann sowohl auf Kupfer- oder andere Metallplatten aufgebracht werden, als auch auf verschiedenste weitere Materialien, vorzugsweise Kunststoffe wie Astralon oder Acrylglas. In diesem Fall muss man einige Abstriche machen, was die Ätztiefe betrifft - ein Umstand, der natürlich im Druck sehr sichtbar ist. Wird Kupfer als Träger verwendet, kann als Ätzgrund die Imagonbeschichtung dienen, die die Eigenschaften des Photopolymers mit allen traditionellen Methoden des Tiefdrucks kombinierbar macht. Sogar Halbtondruck lässt sich mit Hilfe der Imagonbeschichtung herstellen - eine Vorgangsweise, der Heliogravure nicht unähnlich (in der folgenden Übersicht verwende ich den Ausdruck I-Heliogravure, um ohne lange Umschreibungen auf den Effekt hinzuweisen).
Obwohl bei solcher Verwendung nicht mehr von ungiftigen Verfahren gesprochen werden kann, liegt in der Möglichkeit, die neuen Materialien mit traditionellen Techniken zu verbinden, wohl der größte Reiz. Die dadurch offenstehenden Wege der Darstellung führen in unbekannte Gebiete und warten, noch begangen zu werden.
Nachstehend eine grobe Übersicht, die die unterschiedlichen Verwendungsmöglichkeiten der zur Verfügung stehenden Polymere zeigt:
Nyloprint: Photoradierung, Kaltnadel, Aquatinta, Hochdruck, eingeschränkt I-Heliogravure
Imagon: Photoradierung, Radierung, eingeschränkt Kaltnadel, Aquatinta, I-Heliogravure, weitere
Zacryl: Photoradierung, Radierung, eingeschränkt Kaltnadel, Aquatinta, eingeschränkt I-Heliogravure, weitere
Zur Geschichte
Pionier der Entwicklung des Polymertiefdruckes mit Nyloprint und ähnlichen Industrieprodukten für das Druckgewerbe ist Dan Welden, dessen Buch "Solarprintmaking" einen guten Einblick in das Verfahren und die verschiedensten Anwendungsbeispiele gibt. Die Lektüre des Buches demonstriert nicht nur die Vielseitigkeit des Materials, sondern anhand der abgebildeten Beispiele, wie weit die künstlerische Erschließung des Mediums schon gekommen ist. Die Beschreibung der Technik ist ausreichend genau, allerdings ist das in Europa erhältliche Material nicht immer mit dem in US-Amerika oder Australien verwendeten ident, weshalb die verschiedenen Zeit- und Mengenangaben nicht ungeprüft übernommen werden können. Eigene Versuche, die die von Dan Welden angeführten Werte korrigieren oder eine Justierung erlauben, sind zumeist notwendig. Nicht nur, dass Künstler wie Eric Fischl sich dem Material ob diverser Vorteile zugewandt haben, ist ein überzeugendes Argument, auch viele junge KünstlerInnen nehmen zumindest im Ausland die Technik bereitwilligst an, um sich darin zu versuchen.
Jedes der unterschiedlichen Materialien hat seinen eigenen Pionier. Der Pionier des Druckens auf Basis der Imagonfolien ist Keith Howard. Sein Buch mit seinen Erfahrungen ist derzeit vergriffen, Informationen über seine Entwicklungsarbeit findet sich aber unter anderem auf der website
http://www.mtsu.edu/~art/printmaking/imagon.html sowie unter http://www.kisscreations.com/
~perryj/studio/intaglio/imagon.html. Glückliche haben die Gelegenheit, einen seiner zahlreichen Workshops zu besuchen, ganz Glückliche einen in Europa, wo sie unter anderem von Rita Helmholtz, Inhaberin der Firma Oktogon organisiert werden. Von Rita Helmholtz, die unter anderem die Imagonfolie vertreibt, wurde uns auch mitgeteilt, dass eine Übersetzung einer neuen und erweiterten Auflage in Planung ist. Wir hoffen, bei Erscheinen des Buches dieses auch hier präsentieren zu können. Keith Howard hat nicht nur die Grundlagen der Arbeit mit Imagon erarbeitet, er hat es auch verstanden, unterschiedlichste technische Varianten in der Behandlung des Materials zu entwickeln.Nicht weniger als elf verschiedene Verfahren werden in seinem Buch beschrieben. In Zusammenarbeit mit dem Hersteller entwickelte er aus dem Riston, ursprünglich rein für industrielle Fertigung gedacht, das Imagon, das für künstlerische Zwecke geeignete Produkt. Noch immer sind die Eigenschaften des Materials mehr auf die elektronische Bauteilfertigung konzentriert, an der Verbesserung der für künstlerische Zwecke relevanten Eigenschaften wird aber gearbeitet und es ist damit zu rechnen, dass die Verwendungsmöglichkeiten weiter ausgedehnt werden.
Zacryl - auch Z-acryl - basiert auf der Entwicklungsarbeit von Mark Zafron. Zafron experimentiert seit 1993 mit verschiedensten ungiftigen Materialien, und hat, nicht unbeeinflusst von Keith Howard, eine Photopolymerfolie entwickelt. 1995 begann er, eine ganze Reihe von Materialien unter dem Namen Z-acryl mit einer eigenen Firma zu vermarkten. Leider konnte ich bislang keine praktische Erfahrung im Umgang mit diesen Produkten sowie der genannten Folie sammeln, meine Informationen darüber stammen aus zweiter Hand. Dennoch will ich darauf hinweisen, da die Arbeit von Mark Zafron offenbar zu einem aufeinander abgestimmten Paket von Materialien geführt hat, das dem Anfänger in der neuen Technik verlässliche Resultate in kurzer Zeit ermöglicht.
Literaturhinweise / Kontaktadressen