Sprechen Sie Mokuhanga?
Der japanische Holzschnitt und der Westen
Um das Jahr 100 wurde in China mit der Erfindung des Papiers die Grundlage des Druckens geschaffen. Die Kombination von Holz, chinesischer Tusche und Papier sorgte für eine nachhaltige Veränderung der Kulturen der Welt. Zu dieser Zeit war China das Zentrum der Zivilisation und Japan eine Inselgruppe an der Peripherie. Es dauerte einige Zeit, bis auch in Japan Papier bzw. Washi (和紙) zur Verfügung stand. Dieses eignete sich aufgrund der verwendeten stärkeren Fasern besser für den Druck als das chinesische Papier. Die isolierte Lage Japans und später die isolierende Politik beförderten die eigenständige Entwicklung des japanischen Farbholzschnitts, in der Folge auch als Mokuhanga (木版画) bezeichnet, die Kurzform von Suisemokuhanga (水性木版画 Holzdruck auf Wasserbasis). – Wer heute die bekannten Blätter des Ukiyo-e aus der Edo Zeit (1603-1868) betrachtet, sieht eine faszinierende Kulturleistung und eine komplexe Entwicklung, die typisch für Japan geworden ist. Dennoch wäre sie ohne Einfluss von außen nicht möglich gewesen. Die signifikante Farbigkeit etwa entstand erst durch den Import von Preußisch Blau, die Variabilität im Druck erlaubte der Baren, ein Druckwerkzeug, das ikonischen Charakter für die Technik des japanischen Holzschnittes erlangt hat und sich von den älteren chinesischen Werkzeugen klar unterscheidet. Dieser Baren (バレン), obwohl in seiner Entstehung umstritten, dürfte Form und Namen vom „Druckballen“ haben, wie er im späten 15. Jahrhundert in deutschsprachigen Werkstätten zum Einsatz kam. Bücher mit den entsprechenden Informationen fanden wohl auf niederländischen Schiffen bereits früh ihren Weg nach Japan.
In Japan war Mokuhanga über Jahrhunderte die wichtigste Drucktechnik. Über Generationen verbesserten sich die Werkzeuge, Materialien und Verfahren, und es konnte ein Druckmedium geschaffen werden, das außerhalb Japans völlig unbekannt war. Denn in Europa hatte die technische Entwicklung einen ganz anderen Weg genommen. Der Buchdruck mit beweglichen Lettern, der Tiefdruck, später die Lithographie erlaubten höhere Auflagen schneller, präziser und vor allem günstiger zu produzieren. – Nach der Öffnung Japans 1853 waren sowohl westliche Druckerzeugnisse als auch Druckverfahren eine begehrter Import. Mit den gedruckten Reproduktionen kamen auch Informationen über die westliche Kunst nach Japan. Der dadurch entstandene Einfluss betraf aber nicht nur das ästhetische Empfinden und die Themen der Kunst, auch die Drucktechnik war stark betroffen und das mit schwerwiegenden Auswirkungen auf eine ganze Industrie. So wurde Mokuhanga in Japan die Grundlage eines blühenden Verlagswesens und eines weit verzweigten Vertriebsnetzes. – Wenn heute von den Künstlern des japanischen Holzschnittes gesprochen wird, denken wir kaum daran, dass die Herstellung ein arbeitsteiliger Prozess war. Die Künstler lieferten den Entwurf und die Beschreibung der Farbigkeit, die Verleger betrauten spezialisierte Handwerker mit der Umsetzung. Diese schnitten die Blöcke meist aus Bergkirsche und führten den Druck aus. Es dauerte Jahre die Fähigkeit zu Schnitt und Druck zu erwerben. Die Druckwerkstätten versammelten somit hochspezialisierte Kunsthandwerker, die ihr Berufsleben der Perfektionierung dieses anspruchsvollen Handwerks gewidmet hatten. – Erste Auflagen eines Drucks entstanden in aller Pracht, bei späteren Auflagen oft etwas vereinfacht aber immer den Bedürfnissen des Marktes folgend. Die Höhe der Auflage war nicht limitiert, sondern entsprach der Nachfrage und dem Zustand der Abnutzung einer Druckplatte. Bisweilen wurde für eine Druckplatte mit herausgebrochenen Stegen oder anderen Zeichen der Abnutzung eine neue Platte geschnitten, um den Druck fortsetzen zu können.
Die japanischen Farbholzschnitte, die im 19. Jahrhundert nach Europa gelangten, waren also Produkte von hochentwickelten Manufakturen. Die Werke erreichten Europa in einem Moment als die Suche nach einem visuellen Ausdruck für eine neue Zeit ein dringendes Bedürfnis darstellte. Ihre Faszinationskraft resultierte aus der Kombination von technischer Perfektion und künstlerischer Exzellenz. Beides war durch generationenübergreifende kollektive Entwicklung und Verbesserung der Verfahren und des Ausdrucks entstanden. Im Westen zeitigte der Import japanischer Farbholzschnitte unterschiedliche Auswirkungen. Für mache Künstler, wie zum Beispiel Vincent van Gogh, war es die Form und die Ästhetik der Kunst aus Japan, die zu seinen Kopien japanischer Drucke führten, und die in Öl gemalt eine Transmedialisierung darstellen.
Für Paul Gauguin war das Medium wiederum ein wichtiger Bestandteil seines Werks und für Künstler wie Gustav Klimt etwa war es die Ikonographie und der Reichtum an Mustern und Gestaltungsmitteln, die Eingang in seine Werke fanden.
Während in Europa die Faszination mit dem japanischen Holzschnitt immer größere Kreise zog, war in Japan die Krise der Holzschnitt-Ökonomie ausgebrochen. Die Verleger fanden kaum mehr genügend Abnehmer, die Werkstätten bekamen kaum mehr Aufträge. Die Blüte des Holzschnitts während der Edo Zeit war vorüber und in der Meiji Periode (1868-1912) war es schwieriger geworden, mit einer scheinbar obsolet gewordenen Technik weiterhin die etablierten Strukturen aufrecht zu erhalten. Gleichzeitig studierten zahlreiche japanische Künstler in Europa und entdeckten eine ganz neue Art, die Druckgrafik als Medium einzusetzen. Nicht als arbeitsteiliger Prozess, sondern als Möglichkeit autonom und in voller Kontrolle aller Arbeitsschritte und der produktiven Mittel künstlerisch zu schaffen und zu publizieren. Diese Generation von japanischen Künstlern, zumeist nach Besuchen in Frankreich, Großbritannien oder den deutschsprachigen Ländern, erneuerte die Druckgrafik in Japan und schuf eine Bewegung, angeführt von Onchi Kōshirō, die als Sōsaku-hanga (創作版画 / das kreative Drucken) bekannt wurde. – Von diesen die japanische Kunst erneuernden Wechselwirkungen wussten die von Mokuhanga begeisterten europäischen Künstler allerdings zuerst einmal wenig. Für sie war ein Weg sich dem Fremden zu nähern, die Technik zu erlernen. Emil Orlik (1870-1932) brachte von seiner Reise nach Japan im Jahre 1901 genaue Kenntnis über die Technik des Farbholzschnitts und die Arbeitsweise zurück nach Europa, wo sein Wissen über Mokuhanga zahlreiche andere Künstler inspirierte. Unter anderen griffen die Künstler der Wiener Sezession und des Jugendstils, der Wiener Werkstätte oder des Deutschen Werkbundes zum Messer und begannen, selbst Platten zu schneiden und nach japanischen Vorbildern zu drucken. Ohne die Bestimmung aus einer langen und autoritären Tradition konnten sie ihre eigenen Maßstäbe setzen, als „Dilettanten“ in dieser anspruchsvollen Technik waren sie frei, neue Ausdrucksformen zu schaffen. Ein Blick auf die Druckplatten wie sie von den japanischen Spezialisten hergestellt wurden (siehe Abb.) im Vergleich zu den Platten aus den Ateliers der europäischen Künstler (siehe Abb.) offenbart die Unterschiede: Die kontrollierte Messerführung, die Detailgenauigkeit und die minimale Abnutzung der japanischen Druckstöcke nach hohen Auflagen zeigt, dass die Umsetzung der künstlerischen Idee unabhängig von Emotion und nach genauen Vorgaben umgesetzt wurde. Die Platten aus den Händen der europäischen Künstler machen hingegen nachvollziehbar, wie sehr die individuelle Persönlichkeit mit all ihren Emotionen in das Holz gelegt wird und das Werk in einer intensiven Beschäftigung mit dem Material und dem Werkzeug entsteht.
In Japan wiederum finden sich westliche Künstler wie etwa Friedrich Capelari (1884-1950) in einer ganz anderen Rolle wieder. Capelari war mit seinen Entwürfen an einer Initiative von Shōzaburō Watanabe beteiligt, aus der die Shin-hanga-Bewegung (新版画 / neue gedruckte Bilder) entstand. Watanabe sah in der Zusammenarbeit mit jungen, innovativen Künstlern, die für die traditionellen Werkstätten neue Entwürfe lieferten und so dem erwachten Interesse von Sammlern aus aller Welt an Drucken aus Japan mit zeitgemäßen Produkten begegneten, neue Chancen für die Zukunft des Farbholzschnitts.
Bislang weitgehend unbeachtet bleibt die Verwendung des japanischen Holzschnitts als Reproduktionsmedium. Die Frage, ob ein Werk, wenn es gedruckt und multipliziert wurde, ein Original oder eine Reproduktion darstellt, war zu den Anfängen des Mediums nicht von Bedeutung. Doch mit fortschreitender technischer Versiertheit änderte sich dies. Mokuhanga wurde also nicht nur eingesetzt, um originäre Bilder und Texte zu publizieren, sondern auch um Textilmuster zu dokumentieren oder Kleiderentwürfe zu verbreiten. In diesen Fällen war der Holzschnitt ein Medium der Reproduktion. Mokuhanga als Reproduktionstechnik verlangt, dass ein anders Medium im Holzschnitt imitiert wird. Es ist also nicht ein originärer Ausdruck in der Sprache des Mediums, sondern es handelt sich um eine höchst diffizile Übersetzungsleistung der Künstler und Techniker. Am besten ließen sich Werke der japanischen Nihonga-Malerei (日本画) wiedergeben, da Nihonga und Mokuhanga identische Pigmente und Papiere verwenden.
In einem aufwendigen Prozess von der Übertragung des Motivs und dem Überdrucken von hunderten von Pigmentschichten entstehen Druckwerke, die die Qualitäten und die Charakteristika japanischer Malerei täuschend ähnlich wiedergeben. Das Beispiel (siehe Abb.) zeigt einen Druck nach einer illustrierten Handschrift aus dem 12. Jahrhundert des Genji Monogatari (Die Geschichte des Prinzen Genji). Die Übersetzungsleistung aus dem Medium der Malerei in die des Holzschnitts ist enorm.
Im Vergleich mit den Blättern der klassischen Ukiyo-e, des Shin-hanga, des Sōsaku-hanga und den japanisierenden Farbholzschnitte aus Europa wird klar, dass es eine verbindende visuelle Sprache gibt, die sich in den entscheidenden Jahren von 1900 bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts aus dem Medium des Farbholzschnitts entwickelt hat. Diese Sprache haben die Künstler in Europa erlernt und ihren eignen Ausdruck darin gefunden, während das Selbstverständnis westlicher Künstler die Künstler in Japan dazu animierte, in dieser Sprache neue Aussagen zu formulieren.